die Kirche, die wöchentliche Zeitung mit ihrem Newsletter, stellt hier Menschen vor, die Hand anlegen, die vor Ort sind, uns die Lage beschreiben und die wir bei ihrem Einsatz unterstützen können.
Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar hat unzählige Menschen in die Flucht getrieben. Unter den fliehenden Menschen sind auch Mitglieder der lutherischen Kirche in der Ukraine, die viele Gemeinden in dem besonders betroffenen Osten der Ukraine hat.
In Odessa ist Alexander Groß Pfarrer der Lutherischen Kirche. Wie es den Menschen geht und wie die Gemeinde jetzt hilft, schreibt der EKD-Auslandspfarrer in einem Kommentar von Montagmorgen.
Wir leben jetzt in einer Situation, in der man sich fast jede Stunde hinsetzen und etwas völlig Neues schreiben könnte. Noch am 23. Februar habe ich gesagt, dass die Anerkennung der Unabhängigkeit des Donbass und die Anerkennung seiner Truppen durch Russland eher das Maximum dessen ist, was Putin beschließt.
Aber der frühe Morgen des 24. Februar zeigte, dass sein Appetit viel größer ist und dass er bereit ist zu töten. Sowohl die eigenen Soldaten, als auch die auf der anderen Seite. Wir wachten um 5 Uhr morgens von unverständlichen Geräuschen und Fensterschütteln auf. Wir haben nicht wirklich verstanden, was es war. Nur im Internet konnte ich lesen, dass Moskau eine Säuberung der Ukraine von „Nationalisten“ ankündigte. Es wurde klar, dass sie eine Militäroperation starteten.
In den folgenden Tagen verschlechterte sich die Situation. Lebensmitteln verschwanden für kurze Zeit aus den Geschäften und Benzin an Tankstellen. Das deutete auf den Beginn einer Panik hin. Aber die meisten Leute sind nicht weggelaufen. Alle wollten zu Hause bleiben. Sie waren zuversichtlich, dass die Einschüchterungsaktion nicht lange anhalten würde. Aber das bewahrheitete sich nicht.
Seit dem 26. Februar ist klar, dass die militärische Situation länger anhalten wird. Die ukrainische Armee begann, sich mit aller Kraft zu verteidigen. Und tatsächlich wurde überall der Truppenvormarsch gestoppt. Ein Teil der Siedlungen im Süden und Norden des Landes wurde jedoch kampflos aufgegeben. So wurden drei evangelisch-lutherische Gemeinden besetzt: in Berdyansk, Shostka und Zmeevka (Gebiet Cherson). Für letzteres bin ich als Pfarrer zuständig.
Ich war seit über einem Monat nicht in dieser Gemeinde. Die Menschen versammelten Kinder im Gemeinschaftshaus, das gut unterkellert ist. Nun war wirklich Krieg. Tatsächlich geht es jetzt sogar noch weiter. Die umliegenden Dörfer sind gesperrt, es gibt bereits seit drei Tagen keinen Strom und keine Lebensmittellieferung. Die Besatzer weigern sich, einen humanitären Korridor bereitzustellen.
In der Region Odessa und in der Stadt Odessa selbst gibt es drei weitere Gemeinden in meiner Verantwortung. In diesen ländlichen Gemeinden ist es ruhig, es herrscht keine Panik. Sogar zum Gottesdienst kamen die Leute am Sonntag. Allerdings haben wir Sonntagsschulen und Jugendtreffs abgesagt.
In Odessa selbst ist die Situation viel komplizierter. Alle Familien mit Kindern sind gegangen. Nach Moldawien, Rumänien, Polen oder Deutschland. Nur die Alten bleiben. Der Stadtverkehr wurde viel weniger und so wurde beschlossen, keinen Gottesdienst abzuhalten.
Hier sieht man die zukünftige Katastrophe sehr deutlich. Die meisten Leute werden wahrscheinlich nicht wiederkommen. Die Gemeinde, die in den Jahren 2015–2021 eine schwere Krise überstanden hat, als der bereits ehemalige Bischof Serge Maschewski 80 Prozent der Menschen aus der Kirche vertrieb, ist nun wohl in ihrer Existenz bedroht. Aber ich bin froh, dass viele jetzt sicher sind.
Mein Hauptanliegen ist heute die Möglichkeit, Produkte für die soziale Unterstützung zu kaufen. Wir kochen und liefern zweimal pro Woche warme Mahlzeiten an die Menschen. 26 Menschen in drei Dörfern erhalten diese Hilfe seit anderthalb Jahren. Jetzt ist sie noch wichtiger als zuvor. Außerdem möchten wir 200 Lebensmittelpakete für Rentner unterhalb der Armutsgrenze schnüren. Wir haben Geld, aber wir wissen noch nicht, ob wir Lebensmittel kaufen können.
Unsere Gegend ist relativ ruhig. Scheinbar gehören wir strategisch nicht zur ersten Phase der Invasion. Aber stündlich können sich die Dinge ändern. Dennoch sind die Menschen vom Mut des ukrainischen Militärs beseelt und bereits siegessicher. Die Frage ist nur, was dieser Sieg kosten wird. Wie viele Menschen werden noch in diesem schrecklichen Krieg sterben. Immerhin gibt es bereits Tausende Tote. Auch die Tatsache, dass die Welt allmählich aufwacht, ist inspirierend. Nun bekommen wir maximale Unterstützung, auch Waffenlieferungen, die von Deutschland zuvor abgelehnt wurden. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. In all dieser Tragödie verstehen wir, dass Millionen von Christen für uns beten. Und wenn „Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“
Weitere Informationen und Möglichkeiten zur Spende unter https://nelcu.org.ua/de/spenden/
Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine
Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine (DELKU) geht auf die Aussiedler zurück, die von Zarin Katharina II. Mitte des 18. Jahrhunderts ins Land gerufen wurden. In Odessa fand bereits 1801 der erste evangelische Gottesdienst statt, die Gemeinde zählte zeitweise über 10.000 Mitglieder. Unter dem Sowjet-Regime kam das kirchliche Leben zum Erliegen, die Gemeinden wurden verboten und die Kirchen geschlossen oder umgewidmet. Erst nach der politischen Wende konnte wieder eine evangelische Kirche begründet werden. Heute zählt die DELKU in rund 30 Gemeinden etwas über 3.000 evangelische Christen. Das geistliche und organisatorische Zentrum ist die Paulskirche in Odessa.
Aus dieKirche Newsletter/Doppelseite. Abruf: 3.03.2022